Zitate zur Generierung von Leitfragen

Moshé Feldenkrais starb vor bald vierzig Jahren. Wir können ihn also schon lange nicht mehr fragen, was er sich eigentlich beim Erfinden seiner ATMs gedacht hat. Doch halt, das stimmt nicht ganz: Einige Antworten hat er uns in seinen Texten hinterlassen. Allein in seinem letzten Buch, Die Entdeckung des Selbstverständlichen (The Elusive Obvious) hat er dem Thema „Bewusstheit durch Bewegung“ ein ganzes Kapitel gewidmet. Und Christian Buckard lässt Moshé Feldenkrais in seinem exzellenten Radiofeature „Mr. Hokuspokus“ sogar selbst zu Wort kommen. Aus diesen Quellen lassen sich sich sicherlich einige interessante Leitfragen generieren, die sich für die Befragung von ATMs eignen. Beginnen wir also unsere Spurensuche.

Anmerkung: Die Auswahl dieser Zitate ist Teil des Seminars „Der Rote Faden in ATM – wie man ihn sucht, findet, selber knüpft“ von Liane von Beesten und Claus-Jürgen Kocka. Im Sinne der Feldenkrais-Wissensallmende teilen sie Ihre Erforschungen des Primärmaterials der Feldenkraismethode hier mit uns allen, wofür sich das AYnmal täglich-Studienprojekt sehr herzlich bedankt. Wir freuen uns, wenn diese Materialauswahl auch vielen anderen Teilnehmer:innen der Studiengruppe gute Dienste für das tiefere Verständnis von ATMs leistet.

Zitate aus „Mr. Hokuspokus“

Die folgenden beiden Passagen stammen aus „Mr. Hokuspokus“ von Christian Buckard: https://www.christianbuckard.de/radio/

MF über seine Methode

„Vielleicht das Wichtigste, das man in diesen Stunden lernt, ist das Richten von Aufmerksamkeit an den ganzen Körper und dann Teilen des Körpers, so dass Gestalt und Körperhaltung eine besondere Genauigkeit und konkretes Gefühl des Raumes und des Orientierung des Körpers erleben. Jede Stunde wird nur einmalig benützt, so dass die Erfahrung immer neu ist und niemals mechanisch repetiert wird. Ein Thema in einer Stunde hat von 5 bis 20 Variationen, so dass die Aufmerksamkeit auf den Körper ununterbrochen wach bleibt. Jede Stunde hat ihre besondere Wirkung, die man bereits beim Aufstehen fühlt.“

MF über Körper und Geist

„Körperliche und geistige Erscheinungen sind die zwei Seiten ein und derselben Münze. Die Münze ist in unserer Weltanschauung das Nervensystem. Das Geistiges und Körperliches sind nur zwei Ausdrücke oder Aspekten der Tätigkeit des Nervensystems. In unserer Methode probieren wir, das Nervensystem durch die Muskeln zu beeinflussen.“

Zitate aus „Die Entdeckung des Selbstverständlichen“

Moshé Feldenkrais über „Bewusstheit durch Bewegung“ in Die Entdeckung des Selbstverständlichen, (Auszüge aus dem Kapitel)

Entstehung von Bewusstheit durch Bewegung

Da ich meine Arbeit mit mir als Selbstbeobachtung verstand, fiel mir ein, dass Selbstüberprüfung nicht ohne Urteile abgeht, richtige oder falsche (S. 132).

Mir wurde klar, dass ich es mit einem Prozess der Selbst-Leitung oder Selbst-Lenkung zu tun hatte und dass jede einzelne Bewegung nur insofern von Belang war, als sie diesen Prozess erhellte (S. 133).

Geschwindigkeit im Leben versus beim Lernen

Zuerst machte ich ihm klar, dass Lernen grundverschieden ist von Tun. Im Leben muss jede Handlung im richtigen Augenblick mit der richtigen Geschwindigkeit und dem richtigen Maß an Kraft ausgeführt werden. Wird eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, so wird die Handlung gefährdet oder zunichte: sie wird ihren Zweck verfehlen (S. 133).

Erfolgreich lernen können wir nur in dem uns eigentümlichen Tempo (S. 134).

Bei Lektionen in Bewusstheit durch Bewegung wird jedem alle Zeit gelassen, die er braucht, um sich das Bild der Bewegung zu eigen zu machen und sich an das Neuartige der Lage zu gewöhnen; Zeit genug, um sich zu gewahren und zu organisieren und um die Bewegung so oft zu wiederholen als er möchte und als ihm richtig scheint (S. 134).

Langsam lernen Sie Ihren angeborenen Rhythmus finden, der von Ihrer Struktur bestimmt wird (S. 135). 

Die Langsamkeit ist nötig, um parasitäre, überflüssige Anstrengungen zu entdecken und sie dann schrittweise auszuschalten. Überflüssiger Kraftaufwand ist schlechter als ungenügender, da er unnütz Kraft kostet. Schnelles Handeln beim Lernen ist anstrengend, führt zu Verwirrung und macht das Lernen unangenehm und ermüdend (S. 135).

Zu erlernen, wie man neue Fertigkeiten lernt, scheint mir wichtiger als diese Fertigkeiten selbst (S. 135).

Verbessern versus richtigmachen 

Um zu einer richtigen Bewegung zu gelangen, ist vorerst eher an bessere Bewegung zu denken als an richtige; denn die richtige Bewegung hat keine Zukunft: sie lässt sich nicht weiter entwickeln. Während einiger Olympiaden galt es als richtig, zwei Meter und vier Zentimeter hoch zu springen, um Aussicht auf die Goldmedaille zu haben; und solange dies als richtig galt, konnten selbst die besten Athleten es nicht überbieten. Heute muss man, um sich für Wettkämpfe auch nur zu qualifizieren, über zwei Meter zwanzig springen, und viele springen über zwei Meter dreißig. Das Bessere kann verbessert werden; das Richtige bleibt Grenze für immer (S. 135).

Über den Aufbau von Lektionen

Bei Lektionen in Bewusstheit durch Bewegung beginne ich mit den Bestandteilen der Bewegung, und es kann an die zwanzig Variationen der Teilkonfigurationen geben, aus denen die schließliche Bewegung oder Fertigkeit besteht. Diese Bewegungsteile lassen die Handlung, die sich am Ende aus ihnen ergeben wird, meist nicht erahnen. Da also kein ersichtliches Leistungsziel die Schüler zu Anspannung herausfordert, bleiben sie gelassen. Das steht im Gegensatz zu den vorherrschenden Lehr- und Erziehungsmethoden, bei denen wir oft programmiert werden, wider unser besseres Wissen die Leistung, das Gelingen, den Erfolg anzustreben. Indem wir unsere Aufmerksamkeit vom Ziel und unserem Erfolgsdrang weg auf die Mittel und Wege unseres Tuns verschieben, wird der Lernprozess leichter, ruhiger und schneller. Zielstrebigkeit schwächt den Anreiz zum Lernen; wenn wir dagegen ein Handlungsniveau wählen, das ohne weiteres im Bereich unserer Mittel liegt, können wir unsere Handlungsweise verbessern und am Ende ein viel höheres Niveau erreichen.

Lassen Sie beim Lernen jede Absicht weg, es richtig zu machen: tun Sie nichts gut oder schön und eilen Sie nicht, denn Eile stiftet Verwirrung. Gehen Sie langsam vor und wenden Sie lieber weniger Kraft auf als nötig ist (S. 136).

Bewusstheit durch Bewegung führt zur Selbsterkenntnis und zur Entdeckung bislang ungeahnter Möglichkeiten in uns selbst. Statt Fehler zu vermeiden, verwenden Sie sie lieber absichtlich als Alternativen für das, was Sie zunächst als richtig empfinden. Es könnte sein, dass Richtig und Falsch bald die Rollen tauschen (S. 137f).

Über das Unterrichten von Bewusstheit durch Bewegung

Im Lauf der vier Jahrzehnte, die ich mich mit menschlichem Lernen beschäftige, habe ich gemerkt, dass sich meine Schüler nur schwer vorstellen können, wie ich jahraus jahrein tausende Bewegungen improvisieren kann und zu jeder noch zehn oder mehr Variationen über das gleiche Thema dazu, bis selbst dem langsamsten unter meinen Hörern ein Licht aufgeht (S. 142).

Bei Bewusstheit durch Bewegung werden serienweise auch schnelle Bewegungen geübt, die einem ein förmlich übermütiges Gefühl geben, dass man leichter und schneller sei als man sich’s je hätte träumen lassen (S. 151).

Sie werden viel mehr davon haben, wenn Sie langsam und Schritt für Schritt vorgehen und so auf Ihre höchst eigene Art zur abschließenden Version gelangen. Dann wird es nicht meine Handlungsweise sein, sondern die Ihre; und so sollte es auch sein (S. 151).

Worauf es für Sie beim Lernen ankommt, ist das Gewahr- und Innewerden; während es belanglos ist, welche Bewegung für die Lektion verwendet wird. Aber da wir nun einmal dabei sind, haben wir eine gewählt, die auch sonst im Leben von Nutzen ist (S. 152).

Inzwischen werden Sie sich ausgeruht und allerlei gewahrt haben, das Ihnen schon bekannt war oder auch nicht (S. 153).

(Fahren Sie damit fort, die Beine nach links und rechts umzulegen. Heben Sie jeweils die Hand, die Sie als Stütze nicht brauchen, vom Boden weg und führen Sie sie in die gleiche Richtung wie die Knie. Nach und nach werden Sie es zunehmend bequemer finden, das Becken genügend zu heben, um auf den Knien zu stehen. Kehren Sie ins Sitzen zurück, und probieren Sie diese Bewegungen einige Male. Beachten Sie nochmals, wie die Füße dabei als Angeln fungieren, sonst aber bei diesen Bewegungen kaum etwas zu tun haben und am besten sich selbst überlassen bleiben; aber behalten Sie sie im Sinn und achten Sie darauf, dass sie sich nicht ohne Ihre Absicht verschieben. Der jeweils gehobene Arm wird mit dem Rumpf hinüberbewegt, und Sie können ihn auch ein wenig schwingen, um Rumpf und Becken zu helfen, sich vom Boden zu heben.)

Solche Bemerkungen mache ich erst, wenn ich gesehen habe, dass die Schüler das, was ich erst jetzt in Worte fasse, bereits verstanden haben und ausführen. Das gibt dem Schüler das Gefühl, richtig verstanden zu haben, und so wächst mit seiner Bewusstheit auch sein Selbstvertrauen. Bei schriftlichen Anweisungen wie diesen gehn viele Glanzlichter notwendig verloren, da diese Bemerkungen nicht von einem mir sichtbaren Geschehen angeregt, sondern in ihrer Reihenfolge gleichsam nur vom Papier diktiert werden (S. 155).